Calendar
  • Keine anstehenden Termine
AEC v1.0.4

Paris Roubaix Cyclotourisme 2012

Ich habs mir angetan! Mit dem großen Wunsch ein Monument des Radsports abzufahren zog ich per Wohnmobil in Begleitung nach Bohain-en-Vermendois bei
St. Quettin. Eine gelassene Stimmung herrschte nicht nur durch die Fußball EM im Städtchen. Auf der Startstrasse standen die Absperrgitter auf den Bürgersteigen, kalter Wind wechselnd mit sonnigen Abschnitten weht durch die Straßen. Immer mehr Gruppen Engländer, Holländer, Franzosen und Italiener fanden sich ein. Und das mehrere Stunden bevor die Anmeldung oder die Startunterlagen geööfnet bzw. ausgegeben werden konnten. Die Stimmung war einfach toll. Meine persönliche Anmeldung war ein kleiner Vorgeschmack auf das was mich erwartete. Ich kleiner Schusel hatte zwar das Geld überwiesen, aber das Anmeldeformular nicht zum Ausrichter gescannt, was im nachhinein die Warterei ersparte da ich meinen Perso vorzeigte und der nette Herr laut meinen Nachnamen rief!^^ Freudestrallend zog die Dame neben ihm auf Seite 1. ihrer Mappe mit Klarsichtfolien meine kompletten Startunterlagen raus. Das war meinem Papa ein Foto wert . Den Abend verbrachten wir in einer Bar und schauten Portugal – Deutschland und schliefen dann mehr oder weniger gut auf dem Parkplatz eines Supermarkts.

3:40Uhr in der Früh

Wecker klingelt, von draußen höre ich wie die Menschen aus Belgien,Itlaien die sich neben uns mit ihren Wohnmobilen gestellt haben auch aus ihren Kojen erwachen. Ich nehme 3 Bananen und einen Apfel zu mir, Creme Beine und Arme ein damit die Betriebstemperatur stimmt. Packe alles zusammen was man so brauch. Check: Luftpumpe, 5 Schläuche, Riegel + Gels, Wasserflaschen, Reifenheber, Warnweste, Rosenkranz – es kann losgehen. Noch Dunkel herrscht schon reges Treiben am Stempelstand. Kurz nach 5 Uhr gehts für mich los. Die ersten größeren Gruppen zwischen 40- 70 Leuten sind unterwegs.
Auf meinem Zettel den ich mir auf dem Oberrohr befestigt habe steht bei Km 22 das erste Pave‘ (Im späteren Verlauf wird dieser Zettel so überflüssig werden wie ein Kamm für einen Glatzkopf). In welligem Terrain in Warnwesten gehüllt und mit Lampen ausgestattet summen die Gruppen der Morgendämmerung entgegen und ein wahnsinns Gefühl ist bei jedem spürbar zu sehen. Entlang einzelner Häuser die zu dem wechselnden Wetterbedingungen, den harten und ehrlichen Menschen passen. Den Hüfthohen Feldern die uns die ganze Strecke begleiten.

Km 18 ich arbeite mich nach vorne um problemlos ins Pave‘ zu kommen. Mit klassischem Laufradsatz, 25mm Reifen, Conti 4 Seasons, und Elitehaltern mit extrastarken Gummigriff für die Trinkflaschen am Sattel fühlte ich mich bestens gerüstet. Das erste Pave‘ in Sichtweite „was zum Teufel…..“ grrrrrrrrrrrrrrrr (metalisch) dieser Ton würde mich den ganzen Tag verfolgen wenn das Rad über die Steine brettert. Nach den 100 hundert Metern Pave‘ ein Italiener mit der ersten Panne, ich muss schmunzeln da er Schwalbe Ultremo ZX fährt ohne jeglichen Pannenschutz, ob er ins Ziel gekommen ist wird immer ungewiss bleiben. Das erste Pave‘ hat eine Länge von 2200m unter mein Hintern fühlt sich an, ob er gerade massiert wird + akupunktiert + ich mich in einen Ameisenhaufen gesetzt habe und meine Blase drückt! Spätestens nach dem dritten Pave‘ konnte man alle Fahrer am Straßenrand stehen sehen um sich zu erleichtern. Ach die Hände hab ich vergessen, im Vorfeld wurde immer gesagt Hände so weit es geht locker lassen hahahahha welch Witz denke ich mir und konzentriere mich auf eine gleichmäßige Atmung, einen runden Tritt. Nach Puls fahren geht hier überhaupt nicht! Schon am dritten Pave‘ denk ich mir mit seinen 3700m wann hört der Abschnitt den auf!? In den Weiden versteckt um die Kurve rum fehlt der Blick nach vorne wo sich das Ende des Abschnitts zeigen könnte! Vergebens! Schon nach 4 Pave‘ Abschnitten war ich so isoliert das nur noch Einzelne Fahrer vor mir waren oder max. 3 Fahrer eine Gruppe bildeten. Sehr beeindruckend war auch das Gefühl wenn man vom Pave‘ auf dem Asphalt ankommt. ca. 25km/h auf dem Pave’….Asphalt kommt ….. 36km/h auf dem Asphalt WOW denk ich mir nur. Körner sparen! Wenn das überhaupt geht.

Meine Flaschenhalter konnte ich auch in der Pfeiffe rauchen. Schon im 1. Pave‘ flog eine Flasche davon. Die restlichen 180Km sollten mit einer Flasche am Sattelrohr (sicherster Platz!) zurückgelegt werden. Es kam wie es kommen musste ich übersah die erste Kontrolle und fuhr ca. 70Km ohne Wasser zu haben. So langsam stellten sich gewisse Automatismen ein und das Kribbeln am Gesäß war einem Gefühl von Nichts gewichen. Durch meine momentan gute Form holte ich weiter vereinzelte Fahrer ein, sprengte kleine Gruppe in den Pave‘ Abschnitten wo die Spitzengeschwindigkeit bei mir um die 34 – 35km/h lag.

Ein Franzose flog mit über 40 Sachen an mir vorbei, schob mich noch ein kleines Stück mit und verschwand dann auch schon da er sah, das ich seinem Tempo nicht gewachsen war. Dieser Fahrer hinterlies bei mir einen bleibenden Eindruck! Wobei ich mich echt nicht doof anstellte.
Kurz danach schloss ich auf eine 2 Mann Gruppe auf in der sich ein Australier befand. Allgemein war es einfach toll diese Nationenvielfalt zu sehen.

Kurz vor der 2. Kontrolle (vor Arenberg 8-()  ) bei Km 90 wollte ich zum ersten Mal das Pave‘ meiden und schlitzte mir seitlich meinen Schlauch kaputt. Der Reifen war gottseidank heile geblieben. Mit weniger als 8 Bar nun im Reifen kam ich zur Kontrolle vor dem gefürchteten Wald von Arenberg an und verpflegte mich erstmal RICHTIG! Vorallem versuchte ich mein Flüssigkeitsdefizit so einigermaßen in Grenzen zu halten. Pipi Pause, Foto eines gelben Schildes machen, worauf ein Witzbold schrieb: Roubaix 512Km mit einem Pfeil in diese Richtung haha dachte ich mir.

Keinen Kilometer nach der Kontrolle befand ich mich vorm Eingang von Arenberg, viele Zuschauer sind gekommen um die Lebensmüden anzufeuern.
Viele wollten sich das nicht antun und nahmen rechts den asphaltierten Weg wo beim Profirennen die Zuschauer stehen. Ich wollte mir das aber nicht nehmen lassen und erlebte die Hölle! Meine…… das ist doch kein weg mehr! Die Pave‘ zuvor hatten schon hohe Schwierigkeitsgrade, aber das suchte jedesgleichen! Die einzelnen Paves‘ standen in der Höhe manchmal um 15cm versetzt. Mich hat es des öfteren aus der sitzenden Position in den Stand katapuliert als ob ich Wiegetritt fahren wollte! Einfach nur WAHNSINN! Der Schmerz im Gesicht war deutlich sichtbar!

Regenerieren, irgendwie! Nur leider wurden die Intervalle der einzelnen Sektoren immer kürzer. Die Ermüdung nahm zu, ebenso wie die Schmerzen, 3 Blasen hatten sich schon an meinen Händen gebildet und egal wie ich den Lenker hielt rieb eben der das Wunde Fleisch. Was ich deutlich unterschätz habe, sind die 1200hm die man noch zusätzlich bei 54Km Kopfsteinpflaster sammelt. Das Wasserdefizit würde sich immer mehr zum Schluss hin bemerkbar machen.

Kontrolle bei Km 136 mein Papa wartete auf mich und erzählte mir von Opis die mir ihren Autos zu den einzelnen Kotrollen fahren, auf die Uhren starren, 100 Meter Radfahren sich ihren Stempel holen, das Rad einpacken und mit dem Auto zur nächsten Kontrolle fahren. Schon da sah mein Vater das es mir nicht gut ging. Ich selber merkte das nicht mehr so viel im Tank war. Ganz ehrlich Paris Roubaix ist ein Mehrstündiges Intervalltraining und wenn ich überlege wie die Leute vor über 100 Jahren mit weniger Gängen das gefahren sind! Aller höchsten Respekt! Das waren knallharte Hunde, obwohl ich mich auch darunter zählen würde.

Juhu, auf gehts! Nur in meinem Gesicht war das nicht zu sehen . Bei Km 150 meine zweite Panne durch den zu geringen Druck im Schlauch.
Durch die steigende Ermüdung war der Tiefstwert auf den letzten Paves‘ bei 19Km/h. Meine Gelenke an den Mittelhandknochen waren nun so geschwollen und von Haltearbeit maltretiert, das ich mich wie ein Rheumakranker fühlte. Die Hände konnte ich nicht ganz schliessen- dazu kamen die Blasen noch und was noch schlimmer war nach dem Pave‘ konnte ich nur unter großen Schmerzen die Hände öfnen! Mein Gesäß war schon ganz Taub und beim wasserlassen hatte ich Schmerzen. Das Gefühl – das alles wieder okay ist sollte nach über 24 h erst wieder kommen! Die Hände und meine linke Schulter sollten noch 3 Tage nicht richtig funktionieren.

Nicht mehr weit! Nur noch 4 Paves‘! Haha, aber was für welche. Was ich ganz vergass, waren die blauen Paves‘ die nun kamen und so wehtaten das ich beim Fahren Stöhngeräusche, leise Schmerzschreie und verschiedene Formen von verzerrter Gesichtmimik machte. Auch hier standen Zuschauer und applaudierten allen Verrückten. Viele schoben schon ihre Räder, bei mir fühlte es sich an als ob ich kriechen würde. In mir war es für die letzten 50 Kilometer leer geworden! Wie ein Auto ohne Sprit lief der Automatismus weiter zu strampeln, der rechte Miniskus meldete sich auch noch, jedoch holte ich weiter Fahrer ein.

Aufgeben? Niemals war mir das in den Sinn gekommen, aber Zweifel diese Schmerzen auszuhalten trieb mir Tränen in die Augen. In sich gekehrt, leer, waren bei diesem Extrem nur noch die Gedanken am kreisen die ein Vorwärtskommen garantierten.
„Du bist schon soweit gekommen!“
„Deine Familie hat sich extra Urlaub genommen und wartet auf dich!“
„Meiner Liebsten habe ich versprochen heile zurückzukommen!“
„Ich WILL diesen STEIN!“

Auf den letzten Kilometern mehr Wiegetritt am fahren als im Sattel, gefühlte null Beschleunigungskraft einfach mehr als leer wurde ich vom Ordner ins Stadion gewiesen. Die Glocke ertönte für mich. Welch prachtvolle Bahn Roubaix besitzt. Kein Lächeln,keine Freude oder auskosten des Moments möglich nur leer seine Runde drehen. Der Versuch mit erhobenen Händen fotografiert zu werden klappt nicht mehr. In 7h 49 min Netto gehörte ich zu den knapp ersten 100 von 2200 gestarteten Fahrern. Ich will mir nicht vorstellen was gewesen wäre, wenn es geregnet hätte, zum Glück blieb uns dies erspart!

Fazit: Für jeden der Radsport liebt, ist diese Geschichte ein MUSS! Noch nie zuvor habe ich so etwas hartes gemacht und bei sportlichen Leistungen empfunden. Man sagt über die Strecke, man liebt sie oder man hasst sie, ich persönlich empfinde sie einfach als hart und ehrlich.
Besonders zur Charakterförderung empfehlenswert. Besser als jedes bootcamp! Ob ich wiederkomme? –  Irgenwann ja!
Paris Roubaix schön das es dich gibt!

Top! Impressum © 2010-2023 bei rotz-racing.de powered by dogado.de
Social Links:
FACEBOOK